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Von Trauer und Freude

Kurz nach unserer Rückkehr vom Zwischenseminar gleich eine unerfreuliche Nachricht. Eine Beerdigung stand auf unserer Wunschliste von afrikanischen Festen ganz unten, doch sollte es das erste sein, was wir erleben.

Die Rede ist von Kirato Butiku, dem Bruder unseres Gastvaters. Oft haben wir ihn schon gesehen, gern kam er auch gelegentlich bei uns vorbei, hat sich aufs Sofa gesetzt, sich unterhalten und dabei immer Fröhlichkeit und Heiterkeit ausgestrahlt.
Wir sind bestürzt und völlig überrascht. Zusammen mit Mama Lydia gehen wir eine halbe Stunde die Hügel hinauf und kommen schließlich am Haus des Verstorbenen an. Wir hören schon von Weitem die Schreie, doch als wir ankommen sehen wir viele viele Menschen unter Bäumen, an die Wand gelehnt und im Haus. Dort drinnen sind die Schreie am lautesten. Auch wir gehen hinein und uns wird der Tote gezeigt. Der erste tote Mensch, den ich in meinem Leben sehe. Wir gehen wieder raus und setzen uns an einen schattigen Platz.

In Tansania drückt man die Stärke seiner Trauer durch die Lautstärke des Schreins aus, so kommt es mir vor. Ich bin zwie gespalten, bin einerseits von der Situation bedrückt und traurig, kann die schreienden Zusammenbrüche von manchen Frauen aber nicht so recht nachvollziehen – die kannten ihn doch kaum, ungefähr so gut wie wir. Aber das ist eben auch ein kultureller Unterschied. Man weint, um seine Trauer auszudrücken, aber man weint auch, um der Familie seine Anteilnahme zu zeigen. Dementsprechend: je lauter die Schreie, desto größer die Anteilnahme.
Wieder ein Erlebnis, dass sich nur schwer beschreiben lässt und mir sicher lange in Erinnerung bleiben wird.

Es ist aber noch nicht vorbei. Mama und Mzee Butiku kommen ein paar Tage später. Sie halten Totenwache und auf einmal ist das ganze Haus voller Menschen, die Mama’s tratschen bei Bier und Essen bis spät in die Nacht.

Der Tag der Beerdigung. Um 9 Uhr beginnt die Bestattungsfeier in der Kirche. Sie wird von dem uns schon bekannten Father Matthius gehalten. Danach wird der Sarg zum Haus Kiratos gebracht, auch wir fahren hinterher. Es sieht so aus, als wäre ganz Butiama versammelt um sich von dem Verstorbenen zu verabschieden. Er ist aufgebahrt und in einer Reihe schreitet man hintereinander an dem Sarg vorbei.
Es ist drückend heiß und wir finden zusammen mit den Gästen unseres Hauses, Mama Lydia und zum Schluss auch einigen Schülern, die gekommen sind, Schatten in einem Maisfeld. Von hier aus bekommen wir leider nur die Hälfte mit und als wir überraschender Weise unsere Namen hören und zum Grab gehen, finden wir dies bereits zu betoniert. Uns wird ein Kranz in die Hände gegeben, den wir gemeinsam auf das Grab legen und wobei wir von hunderten Augenpaaren beobachtet werden.
Anschließend gibt es ein Essen, doch wir fahren mit Mama Lydia schon zurück nach Hause.
Ein ereignisreicher Tag geht vorbei.

Nun zu einem angenehmeren Thema.
In der Schule hat sich sehr viel getan. Es wurde über die Ferien eine Bibliothek eingerichtet, für die wir nun zuständig sind. Die ersten Wochen verbringen wir damit Register, Bestands- und Ausleihlisten anzufertigen und werden dabei schon neugierig durch das Fenster schauend von den Kindern beobachtet. Doch dann öffnen wir auch für sie die Türen und sogleich wird sich auf die Bücher gestürmt, alles angefasst und überall die Nase reingesteckt, was uns in eine leichte Stresssituation versetzt.

Wir kommen mit dem Pikipiki den Berg hochgefahren und werden freudig winkend und strahlend von den Kindern begrüßt. Allein das macht den Tag schon zu einem Guten. An den Wochenenden dürfen auch die Spiele benutzt werden. Wir haben einige Gesellschaftsspiele, Puzzle’s und Knete. Großen Anklang finden aber auch die Story Books. Die Kinder haben einen neuen Trend gesetzt und malen die Märchenfiguren teilweise verblüffend ähnlich nach. Wir sitzen auf dem Boden, erklären ihnen die Spiele, versuchen den richtigen Ablauf einzuhalten und achten auch auf die kleinen Frechdächse, die in jedem unbeobachteten Moment anfangen zu schummeln.

Eine Lesestunde steht auf dem Programm. Wir verteilen Matten auf dem Boden, sodass es sich jeder bequem machen kann. Es gibt Robin Hood zu hören. Gespannt hören die Kinder zu und schauen auf die Bilder, die wir ihnen zeigen. Verstanden haben die meisten wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte, aber es geht ja auch viel mehr um die Beschäftigung. An einem anderen Tag hören wir uns ein Märchen auf CD an. Auch das hat den Kindern gut gefallen.

Ganz besonders neugierig sind die Kleinen allerdings auf die Tuschkästen. Um nicht ein allzu großes Chaos herauszufordern, teilen wir kleine Zettel mit Nummern für die jeweilige Woche aus. Natürlich sind diejenigen, die eine der letzten Nummern gezogen haben zu tiefst beleidigt und wollen nicht verstehen, dass auch wir keinen Einfluss darauf haben.
Wir stellen Regeln auf, die wir vor jeder Tuschstunde mit den Kindern besprechen. Es wird Zeitung auf dem Tisch verteilt und Wasser geholt. Das erste Mal in ihrem Leben halten die Kinder einen Pinsel in der Hand und fangen an zu tuschen – dabei lassen sie unsere Werke ziemlich blass aussehen.

Um auch die Bewegung der Kinder zu fördern, haben wir eine Kiste mit Bällen und Springseilen. Die stellen wir draußen in den Hof und schon nach wenigen Sekunden sind alle Utensilien in Benutzung und es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Das ist aber auch gut so, selten haben wir die Kinder so ausgelassen und fröhlich spielen sehen. Wir spielen mit den Mädchen und schwingen ihnen das Springseil. Allerdings scheinen wir es für ihre Art des Springens nicht richtig zu machen und werden schnell wieder abgelöst und stehen nun arbeitslos aber stets von mehreren Kindern umgeben auf dem Hof.
Diese Momente beglücken mich doch sehr nach ca. 3 Monaten ohne wirkliche Beschäftigung. Mit der Bibliothek haben wir nun eine Aufgabe, für die wir die Hauptverantwortlichen sind und mit der wir endlich einen geregelten Arbeitsrhythmus haben.

Für die Zukunft möchten wir zwei Tage in der Woche unterrichten, einen in der Primary und einen in der Secondary. Freitag sind wir dann in der Bibliothek und kümmern uns um die Verwaltung, sowie die Gestaltung einer Schulwebsite. Am Wochenende sind wir ausschließlich für die Kinder da und tanzen, spielen oder lesen mit ihnen.

In Butiama fühlen wir uns inzwischen richtig zu Hause. Wir gehen nun öfter ins Zentrum, kaufen Lebensmittel ein, schlendern ein bisschen umher oder wir setzen uns in eine ‚Bar‘ und trinken eine Soda – manchmal auch ein Bier. Bei einem Gang durchs Dorf, wie eigentlich überall in Tansania wird uns immer noch ständig ‚Wazungu‘ zugerufen. Nur als ‚die Weißen‘ betitelt zu werden, gefällt uns nicht wirklich. Aber um dem entgegenzusetzen versuchen wir diejenigen eines Besseren zu belehren und sagen bei jeder kleinsten Gelegenheit unsere Namen – in der Hoffnung, dass sie sich herumsprechen und wir am Ende unseres Dienstes vielleicht mit unseren Namen angesprochen werden.
Eine der unzähligen Schneiderinnen in Butiama hatte die letzten Wochen eine Menge durch uns zu tun. Es sind Hosen, Röcke, Oberteile, Beutel und Cardigans entstanden. Fotos kommen bald.

Ein neuer Tag, eine neue Überraschung.
Schon gar nicht mehr damit gerechnet, aber auf einmal stehen sie im Hof. Unsere Fahrräder!
Wir freuen uns riesig und probieren sie, noch in Schlafanzügen, im Hinterhof aus – zur allgemeinen Belustigung unserer Nachbarn.

Eine Tour ist sogleich geplant, am nächsten Tag soll es in das ca. 12 Kilometer entfernte Kiabakari losgehen. Doch die Ernüchterung folgt auch schon. Das Vorderrad meines Rades hat einen Platten. Wangare, der Fahrer der Butikus, hat es entdeckt und mir ganz selbstverständlich angeboten sein Fahrrad zu nehmen.

Also können wir doch noch starten. Mit Wasser, einem Mini First Aid Kid (man weiß ja nie!), eingecremt und mit dem Versuch einem Turban auf unseren Köpfen nahe zu kommen geht es los. Mit einem sorgenvollen Blick und einem ‚Angalia magari!‘ (‚Achtet auf die Autos‘) verabschiedet uns unser Goldstück Mama Lydia.

Auf dem Weg sind wir das absolute Highlight und nahezu alle uns Entgegenkommenden sind völlig erstaunt und positiv überrascht über die ‚Wazungu‘ (ja, da ist das Wort schon wieder), die sich da mit Tomatengesichtern über die Hügel quälen und die sie ja sonst nur aus den Luxussafari-Jeeps kennen. Über so viel Freundlichkeit und nette Zusprüche waren wir total überrascht und haben wieder einmal die so offene, herzliche Art der Menschen Tansanias erfahren.

Die Tour geht über steile Hügel und wieder runter. Da Butiama ziemlich hoch gelegen ist, ist der Hinweg ein Kinderspiel. An den Rückweg denken wir nur mit Grauen und ruhen uns in Kiabakari erst einmal aus, trinken eine Soda und kaufen die besten Tomaten der Region. Nebenbei: für ungefähr drei Kilo zahlen wir bloß 1 €.

Der Rückweg ist der Horror. Schon nach fünf Minuten können wir sportmuffeligen Couchpotatoes nicht mehr. Die Farbe unserer Gesichter ist von der der eben gekauften Tomaten nicht mehr zu unterscheiden, unsere Lungen brennen und die Sonne knallt. Unter einem Baum suchen wir Schatten und eine kleine Verschnaufpause. Einen Großteil des restlichen Weges schieben wir.
Um den Schein allerdings zu wahren und uns nicht die komplette Blöße zu geben, fahren wir das letzte Stück ins Dorf und unseren Garten hinein und sind völlig erledigt.

Schnell haben wir uns aber wieder erholt und lachen schon wieder über das Ganze.
Wenn mein Fahrrad dann komplett fahrtüchtig ist, werden wir sie täglich nutzen und damit zur Schule fahren. Die nächste Tour wird dann hoffentlich etwas erfolgreicher.

Ganz liebe Grüße in die Heimat!

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2 Kommentare zu Von Trauer und Freude

  1. Benno sagt:

    Halloo,
    ich hab mich schon die ganze Zeit wieder auf deinen nächsten Bericht gefreut und der ist auch wieder echt gut geworden 🙂
    Ich bin immer wieder fasziniert, wie toll du deine Erlebnisse in einem Text rüberbringen kannst!
    Beim lesen von deinem Blog fühle ich mich immer so, als hätte ich die Sachen selbst erlebt. So toll schreibst du 🙂
    Schön, dass es jetzt auch in der Schule voran geht und ich bin sicher ihr werdet da noch die ein oder andere Sache auf die Beine stellen.
    Ich freue mich schon so, dass ich bald ein paar tolle Erlebnisse mit Dir teilen kann!
    Ich liebe und vermisse Dich <3

  2. Familie Schumann sagt:

    Hallo Lissa,
    Benno hat Recht, deine Berichte lassen sich immer wieder toll lesen und sind total spannend.
    Wir sitzen hier gerade mit Blick aus dem Fenster auf 15cm Schnee (hoch natürlich, nicht breit) und würden auch gerne mit dem Fahrrad Berge rauf fahren. Stattdessen sind wir runtergefahren, aber mit einem Schlitten.
    Genieße etwas Sonne für uns mit…
    Finja & Carsten

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